Interview: Als ich einem Orca tief in die Augen schaute

Interview: Als ich einem Orca tief in die Augen schaute

In einem Interview mit Sinead, einer Orca Guide auf Vancouver Island, erfahren wir, wie das Leben in einem Orca Camp tatsächlich ist.

Wir lernen Sinead im September 2018 auf Vancouver Island kennen, während wir in einem Camp mit Orcas kajaken wollten. Seit 2012 zieht es sie immer wieder an die wunderschöne Westküste der USA und Kanada.

In diesem Sommer ist sie für ein halbes Jahr Work and Travel nach Kanada gekommen – auch, um ihrer Leidenschaft, den Orcas, einfach näher zu sein.

Hej Sid, wieso begeistern dich Orcas eigentlich so?

Man muss es wahrscheinlich selbst erlebt haben, Wale in freier Natur und ungestört in ihrer Umgebung zu sehen. In diesem Augenblick, wenn ich auf dem Meer bin, in absoluter Stille und plötzlich aus dem Nichts ein Wal auftaucht, die Wasseroberfläche durchbricht und das einzige, was man kilometerweit hört, nur sein Atem ist – dann hält für mich die Welt an.

“Wenn ich eine Sache nennen müsste, die ich an ihnen am beeindruckendsten finde, dann wäre es ihre gefühlt grenzenlose Empathie und Hilfsbereitschaft untereinander.”

Orcas sind meine absolute Leidenschaft. Sie haben feste Familienstrukturen, wie wir, und sind unheimlich intelligent.

Orcas tauchen an der Wasseroberfläche auf
Orcas tauchen plötzlich auf – © Sinead

Wenn ich eine Sache nennen müsste, die ich an ihnen am beeindruckendsten fände, dann wäre es ihre gefühlt grenzenlose Empathie und Hilfsbereitschaft untereinander – weil ich finde, dass wir uns davon oft noch eine Scheibe abschneiden könnten.

Da sagst Du wohl wahre Worte. Woher kommt deine Leidenschaft für die Wale?

Mein Papa sagt immer, dass er meine Faszination für Orcas damals entfacht haben muss, als er mir als Kind den Film „Free Willy“ gezeigt hat. Wahrscheinlich hat er nicht ganz unrecht. Seit ich denken kann liebe ich Orcas. Aber sie einmal in freier Wildnis zu sehen, das würde wohl für immer nur ein Traum bleiben, dachte ich…

…und dann hast Du sie doch sehen können.

Eine meiner ersten großen Reisen führte mich 2012 nach Kalifornien, wo ich bei meiner ersten Whale Watching Tour in Monterey von weitem Wale – Grauwale um genau zu sein – sah. Das Feuer war entfacht. Es musste eine Möglichkeit geben, Orcas zu sehen. Irgendwo auf der Welt. Und dieser Wunsch führte mich 2014 zurück zur Westküste. Dieses mal nach Vancouver. Die Umgebung diente als perfekter Start und ist weltweit eine der besten Möglichkeiten, Orcas in freier Wildbahn zu sehen.

“Dieser Moment, diese Tour, hat mich für immer verändert. Orcas wurden zu einer Sucht.”

Ich weiß noch genau wie es war, sie damals das erste Mal zu sehen. Der Motor des Bootes wurde abgeschaltet, es hieß Orcas kämen auf uns zu. Alles war still. Und plötzlich durchbrach ein weiblicher Orca mit ihrem Baby an der Seite die Stille, als beide unweit vom Boot auftauchten.

Die Tour war unglaublich. Ich sah um die 15 Killerwale, die regelmäßig aus dem Wasser sprangen und mir eine unglaubliche Show lieferten. Eine Show, die nur die Wildnis zu bieten hatte. Dieser Moment, diese Tour, hat mich für immer verändert. Orcas wurden zu einer Sucht. Zwei Jahre darauf lies ich mir vor meiner ersten Reise nach Vancouver Island mein erstes Tattoo als Andenken an 2014 stechen. Überraschung: ein Orca!

Wir trafen dich ja im Orca Camp. Wie kam es dazu, dass Du dort deinen Sommer verbracht hast?

Während meiner Reise auf Vancouver Island verbrachte ich 4 Tage als Gast in einem Orca Camp. Das Ziel war es mit Orcas und Buckelwalen zu kajaken. Leider ohne Erfolg. Doch ich sah sie jeden Tag vom Boot oder Strand aus. Was für ein Paradies!

Orca während eines Sonnenuntergangs
Orca im Sonnenuntergang – © Sinead

Und ein neuer Traum war geboren: In einem Orca Camp zu arbeiten und ein Jahr mit einem Work and Travel Visum in Kanada zu verbringen!

Ok, der Reihe nach. Du trägst diesen Traum also schon einige Zeit mit dir herum. Und irgendwann hast Du beschlossen, diesen Traum auf eigene Faust zu verwirklichen?

In 2018 packte ich meine Sachen und zog für ein halbes Jahr alleine los nach Kanada, um meinen Traum zu verwirklichen. Ich gebe ehrlich zu: ich bin ein sehr spontaner Mensch. Ich habe für dieses halbe Jahr wenig voraus geplant. Natürlich gab es einiges zu Hause zu klären: mein Arbeitsvertrag wurde glücklicherweise pausiert und meine Wohnung konnte ich untervermieten. Das größte Ziel war das Orca Camp. Alles andere würde sich mit der Zeit fügen.

Strand vor dem Camp in der Wildnis
Am Strand des Orca Camps – © Sinead

Zu meinem großen Glück bekam ich die Chance, in dem wirklich einzigartigem Orca Camp von Ecosummer Expeditions als Unterstützung der Hauptguides die ganze Sommersaison von Juli bis September über zu arbeiten.

Wow, so kann es dann kommen. Man hat diesen Wunsch, der einen einfach nicht mehr loslässt. Und plötzlich wird alles Wirklichkeit. Wie sah denn ein typischer Tag in dem Orca Camp aus?

Ein normaler Tag im Camp begann um 7 Uhr in unserer rustikalen, aber voll ausgestatteten Outdoor-Küche. Dort bereiteten wir für unsere Gäste Frühstück vor, um sie für den ganztägigen Kajak-Ausflug zu stärken.

Buffet im Camp auf Vancouver Island
Camp Kitchen im Orca Camp – © Sinead

Um spätestens 10 Uhr ging es dann raus auf’s Meer – immer auf der Suche nach Orcas und Buckelwalen.

Kajakfahrer beobachten Wale
Orcas vom Kajak aus beobachten – © Sinead

Wenn mal ein Dampfer durch die Meeresstraße der Johnstone Strait zog, war das schon befremdlich. Man ist ja schließlich sonst den ganzen Tag allein auf dem Meer. Ein unbeschreibliches Gefühl, abgeschnitten von allem. Wie in einer eigenen kleinen Welt. Einer Welt, die auf Grund der idealen Lage des Camps neben dem Naturschutzgebiet der Robson Bight, nicht besser sein könnte, um Orcas sogar vom Strand aus zu beobachten.

Kajakfahrer im Norden von Vancouver Island
Guide Jordan im Kajak – © Sinead

Im Kajak halten wir den seit Juli 2018 neuen Sicherheitsabstand von 200m zu Orcas ein, um sie zu schützen und ihnen genug Freiraum bei der Nahrungssuche zu geben.

Viele werden jetzt wahrscheinlich fragen, ob es nicht vollkommen verrückt ist, dort zu kajaken, wo “Killerwale” unterwegs sind…

Wir selbst stehen nicht auf der Speisekarte. Orcas erfassen uns durch ihr Echolot und sind sich jeder Zeit über unsere Anwesenheit bewusst.

“Orcas haben in freier Wildbahn noch nie einen Menschen angegriffen.”

Meine Familie hielt mich mittlerweile schon für verrückt. Wie kann man sich so einer Gefahr aussetzen? Doch Orcas haben in freier Wildbahn noch nie einen Menschen angegriffen.

Aber das Herz pocht wahrscheinlich trotzdem, oder?

Ich verspürte absolut keine Angst – doch ich denke mein Herz hat ein paar Takte ausgesetzt, als, trotz eingehaltener Sicherheitsabstände, ein Orca plötzlich seinen Kurs änderte und direkt neben meinem Kajak auftauchte.

Orca tief in die Augen schauen
Als Sinead einem Orca in die Augen schaute – © Sinead

Wenn mich jemand nach meinem Highlight in Kanada fragt, dann war es dieser Moment, in dem ich diesem Orca direkt in die Augen sehen konnte. Dieser Moment den ich nie für möglich gehalten hätte.

Wie schön. Das klingt sehr berührend. Was macht für dich heute im Nachhinein diese Zeit im Camp – neben dieser tollen Begegnung – so besonders?

Es gab von unserem Strand aus auch diese surrealen Momente, als z. B. eine Gruppe von ca. 15-20 Orcas nicht mal 5m von uns entfernt vorbeizog und jedem den Atem raubte.

Sonnenuntergang in der Johnstone Strait
Sonnenuntergang am Robson Bight – © Sinead

Oder ein Buckelwal, der direkt in unserer kleinen Bucht schlief und man ihn sogar noch im Zelt die ganze Nacht über atmen hören konnte.

Schwanzflosse eines Buckelwals
Buckelwale ziehen am Camp vorbei – © Sinead

Das Meer leuchtet im Sommer unterschiedlich intensiv durch biolumineszenten Plankton auf, an klaren Tagen hat man einen unfassbaren Blick über die Milchstraße. Morgens wurde ich oft durch am Strand vorbeiziehende Orcas aufgeweckt.

“Ich habe den ganzen Sommer direkt am Meer verbracht, in einem komplett von der Außenwelt abgeschnittenem Teil Vancouver Islands”

Ich habe den ganzen Sommer direkt am Meer verbracht, in einem komplett von der Außenwelt abgeschnittenem Teil Vancouver Islands gecampt und unser nächster Nachbar weit und breit war ein Schwarzbär.

Schwarzbär im Orca Camp
Jasper besucht das Camp – © Sinead

All das konnte nur ein Traum sein, oder? Aber es war real. Und der beste Sommer meines Lebens mit den besten Kollegen, die man sich vorstellen konnte.

Man, was für eine tolle Zeit! Diese Momente wirst Du wohl dein Leben lang nicht mehr vergessen. Wir freuen uns so, dass Du deinen Traum verwirklichen konntest. Aber sag mal, was uns immer schon total beschäftigt hat: wie stehen eigentlich die Locals zum Thema Wal-Tourismus und Fischfang?

Das kleine Örtchen Port McNeill, in dem ich meine freien Tage verbrachte, lebt vom Wal-Tourismus und jeder dort liebt Wale. Die Gemeinde und die vermeintlich konkurrierenden Unternehmen helfen sich gegenseitig aus und geben sich über einen gemeinsamen Radiokanal sogar Infos wer, wo, wann Wale gesehen hat – was mir in meiner Zeit dort unheimlich positiv auffiel. Vielleicht liegt es auch daran, dass Kanadier einfach die nettesten Menschen der Welt sind.

“Die Einheimischen sind sich darüber bewusst, dass eine der größten Gefahren für diese Tiere das Verhungern ist. Jeder ist froh, wenn das kommerzielle Fischen wieder eingestellt wird.”

Jeder der Touranbieter hält sich an die Sicherheitsabstände. Jedoch kann ich das nicht über die Fischerboote sagen. Ich sah sie oftmals genau durch eine vorbeiziehende Gruppe Orcas fahren und ihre Netze spannen, die vor allem für Buckelwale, die über kein Echolot wie Orcas verfügen, sehr gefährlich sind. Die Einheimischen sind sich darüber bewusst, dass eine der größten Gefahren für diese Tiere das Verhungern ist. Jeder ist froh, wenn das kommerzielle Fischen wieder eingestellt wird.

Ich persönlich fand es erschreckend, wie viel Plastikmüll wir vom Kajak aus im Meer gefunden haben, seitdem die Fischerboote in der Johnstone Strait anlegten.

Der kommerzielle Fischfang ist ja leider generell ein Problem. Besonders wohl dann auch in der Johnstone Strait. Schön aber zu hören, dass Du den Waltourismus als weitestgehend respektvoll einordnen würdest. Wann, wo und wie können Wale denn auf Vancouver Island besonders gut beobachtet werden?

Die Orca Saison an der nördlichen Ostküste Vancouver Islands geht von ca. Anfang Juli bis ca. Ende September. Buckelwale sind meist bereits ab Mai in der Johnstone Strait, ziehen jedoch Ende August immer weiter in das Broughton Archipelago. Wenn du unbedingt Wale sehen möchtest hast du hier weltweit eine der besten Chancen.

Kajaks am Strand
Kajak sind immer bereit für eine Tour – © Sinead

Empfehlen kann ich wärmstens entweder eine mehrtägige Kayak-und-Camping-Tour mit Ecosummer Expeditions oder für die besten Tagesausflüge Mackay Whale Wathing in Port McNeill. Im Süden der Insel um Victoria ist es im Frühjahr und Herbst auch noch möglich Orcas zu sehen. Hier am besten mit Ocean EcoVentures oder Eagle Wing. An der Westküste um Tofino sind die Chancen Orcas zu sehen eher geringer. Buckelwale und Grauwale triffst du hier häufiger an.

Das sind gute Tipps zum Wale-Watching. Wenn man sich für eine Tour per Kajak entscheidet, was packe ich dann am besten ein?

Das Wetter im Norden Vancouver Islands kann sich schnell ändern, daher muss man mit allem rechnen. Sinnvoll wäre eine Regenjacke, ein dünner Pullover dazu und ein T-Shirt, damit man mehr Optionen zur Verfügung hat. Auf keinen Fall Baumwolle verwenden, da diese einfach schlecht trocknet.

Unser Guide Sid beim Kajaken
Sinead im Kajak – © Sinead

Ich persönlich ziehe immer eine kurze Sporthose an, da die Beine sowieso nass werden. Ansonsten sind eine lange Sporthose oder auch Funktionsunterwäsche für sehr kühle Tage zu empfehlen. Dazu feste Wasserschuhe, möglichst keine FlipFlops.

Sonnencreme, Kappe und Sonnenbrille sind wichtig, wenn man den ganzen Tag bei Sonne auf dem Meer paddelt. Ein Fernglas kann nicht schaden. Ein wasserdichter Beutel schützt eure Kameras und Wechselklamotten. Bei mehrtägigem Campen verbunden mit kajaken ist außerdem immer wichtig, ein trockenes, warmes Set für abends zu haben.

Gute Tipps! Und jetzt noch die wichtigste Frage: Wann geht es für dich zurück nach Kanada?

Die Zeit in Kanada hat mich verändert, was ich für immer mit einem Buckelwal-Tattoo, passend zu meinem Orca, festhalten wollte. Kein Tag vergeht, an dem es mich nicht zurück zieht. Daher ist es wahrscheinlich keine Überraschung, dass ich bereits wieder fest in der Planung für diesen Sommer auf Vancouver Island stecke.

Dann wünschen wir dir schon jetzt ein tolles, neues Abenteuer auf Vancouver Island!

Ganz lieben Dank, Sid. Deine Geschichte ist wirklich beeindruckend und hat uns einen tiefen Einblick gegeben. Danke auch für deine ganzen Tipps. Wir bleiben in Kontakt!

Hast Du Fragen an Sid oder hat dich ihre Geschichte gefesselt? Dann schreib es ihr in den Kommentaren.

PS: Hat dich das Abenteuer in einem Orca Camp gefesselt? Dann lies dir doch mal unseren Artikel durch, in dem wir darüber schreiben, wie wir mit Orcas kajaken wollten.

Dieser Beitrag muss als Werbung gekennzeichnet werden – auch, wenn wir weder aufgefordert, noch dafür bezahlt wurden.

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